Wenn wir die Evolution noch einmal ablaufen ließen, wie sähe die Krone der Schöpfung beim nächsten Mal aus? Wäre es wieder ein Primat, der höhere Intelligenz entwickelt? Würden überhaupt irgendwann intelligente Wesen entstehen. Und falls doch, dann müsste es nicht unbedingt ein Primat sein. Vielleicht wäre es ein Vogel oder sogar ein Oktopus. Es macht Spaß, sich Gedanken darüber zu machen. Und außerdem verrät es etwas über das Wesen der Evolution. In seinem Buch* befasst sich Professor Jonathan Losos mit der Frage, ob die Evolution unberechenbar und vom Zufall bestimmt ist oder ob sie vorhersagbaren Wegen folgt.
Von den Anolis-Echsen gibt es rund 400 Arten, weit mehr als von jeder anderen Art von Reptilien. Wir wissen nicht, warum diese Echsen so viele Arten hervorgebracht haben. Aber es könnte etwas mit dem farbigen Kehllappen zu tun haben, den sie bei der Balz aufstellen. Daran können sie ihre Artgenossen von Mitgliedern verwandter Spezies unterscheiden. Das dürfte die Artenbildung beschleunigen. Eine weitere Besonderheit der Anolis-Echsen ist bedeutsam: Es scheint, als verlaufe die Evolution dieser Echsen alles andere als zufällig. Anolis-Echsen(gehören eher zu den Ausnahmen als das Schnabeltier mit Entenschnabel, Biberschwanz, Giftstachel und Elektrosinn) leben auf allen großen Karibikinseln: auf Kuba, Hispaniola, Puerto Rico und Jamaika. Auf jeder dieser Inseln findet man mehrere Arten. Und diese Arten sehen einander so ähnlich, dass man sie nicht auseinander halten kann. Trotzdem sind sie keineswegs gleich, sie sind nicht einmal eng verwandt. Sie haben sich völlig unabhängig voneinander an dieselbe Nische angepasst. Ein Phänomen, das man in der Biologie Konvergenz nennt.
Man kann sogar mit der Evolution experimentieren: Lange Zeit hat sich da keiner herangetraut, weil alle dachten, dass es viel zu lange dauere, bis man Ergebnisse kriege. Charles Darwin hatte erklärt, dass die Evolution sehr, sehr lange langsam verlaufe, und mehr als ein Jahrhundert sind ihm die Leute gefolgt. Zweifel kamen erst auf, als man merkte, wie schnell sich Resistenzen gegen Antibiotika oder gegen Pestizide verbreiten. Anfang der achtziger Jahre wurden dann die ersten Freilandexperimente mit Guppis(lebend gebärender Zahnkarpfen) durchgeführt. Und siehe da: Sie veränderten sich binnen weniger Jahre. Auch wollte man herausfinden, ob Echsen, die sich auf dünnen Ästen bewegen, kürzere Beine bekommen. Dazu wurden Anolis-Echsen auf kleinen Inseln ausgesetzt. Dort gab es nur Gestrüpp mit kleinen Ästen. Nachdem sich die Echsen eine Weile fortgepflanzt hatten, waren ihre Beine tatsächlich im Schnitt kürzer geworden. Diese Evolution folgt also vorhersehbaren Wegen!
Allerdings ist der Zufall experimentell schwer zu greifen. Eindrucksvolle Befunde hat Richard Lenski mit seinen bahnbrechenden Langzeitexperimenten mit E.coli-Bakterien erbracht. Er setzte zwölf genetisch identische Zellen selektivem Druck aus, und eine davon verwandelte sich in eine neue Spezies. Das ist schon sehr ungewöhnlich. In dieser einen Bakterienpopulation ist tatsächlich eine der großen evolutionären Glücksfälle gelungen.
Kann Forschung die Gesetze der Evolution ergründen? Kann sie uns helfen, unsere Zukunftspläne zu bewältigen? Als Professor Losos für sein Buch* recherchierte hatte er erwartet eine Fülle von Beispielen zu finden, wo evolutionäre Vorhersagen von praktischem Nutzen sind, etwa wenn es um Antibiotikaresistenzen und oder die Entwicklung neuer Medikamente geht. In Wirklichkeit gibt es aber bisher nur wenig Beispiele.
Die Erkenntnis, dass die Evolution schneller verläuft, gibt Anlass zur Hoffnung, Pflanzen und Tiere können sich offenbar besser an eine veränderte Umwelt anpassen als befürchtet. Allerdings ist die Veränderung groß und vielfältig. Es geht nicht nur um die globale Erwärmung, sondern auch um die Zersplitterung der Lebensräume, die Versauerung der Meere, die Verbreitung invasiver(einfallender) Arten.
Wir Menschen werden uns nicht anpassen im Sinne der evolutionären Anpassung. Die Triebfeder dafür ist die natürliche Auslese, also die Überlebenstüchtigkeit, und die spielt für uns Menschen, zumindest in den Industrieländern, kaum mehr eine Rolle.
*Jonathan Losos: „Improbable Destinies – Fate, Chance, and Future of Evolution“, Riverhead Books, 384 Seiten. – Die deutsche Ausgabe erscheint voraussichtlich am 12. März 2018
Johann Grolle, „Von einem anderen Stern“(Auszug), Musste der Mensch sich auf Erden entwickeln? Und wie konnte eine Kuriosität wie das Schnabeltier entstehen? Der Biologe Jonathan Losos, 56, über große Fragen der Evolution, #DERSPIEGEL, SPIEGEL-Gespräch, 50/2017
16 Antworten zu #Rezensionen. Die #Rätsel der #Evolution. Die #Anolis-Echsen