Das Rentnerehepaar trug alles Geld, das es verdiente zum Institut ihres Vertrauens. Zeitweise lief sogar das Alarmsystem der Bank über das Haus der Familie. Nie hätten die Rentner gedacht, dass sie genau in dieser Filiale ein Vermögen verlieren würden. Erhebliche Teile der Ersparnisse des Ehepaares sind weg, verzockt in einer Reihe dubioser Aktiengeschäfte, für die niemand mehr verantwortlich sein will – und womöglich auch niemand zur Verantwortung gezogen werden kann.
In ihrem Haus kann das Ehepaar nur wohnen, weil es dem Schwiegersohn gehört – und der, seit er um die Misere weiß, keine Miete mehr verlangt. Dem Rentner, der sein halbes Leben lang sein eigener Chef war im eigenen Laden, ist das sichtlich unangenehm. Dass ihre gesetzliche Rente bescheiden ausfallen würde, war dem 74-Jährigen und seiner Frau immer klar: 1.600 Euro hat das Paar zusammen im Monat, fast die Hälfte geht für die private Krankenkasse und Medikamente drauf. Deshalb legten sie früh Geld beiseite und verkauften 2010 schließlich das Haus, in dem sich früher ihre Metzgerei und ihre Wohnung befanden. Bei der Frage, was mit dem Geld anzufangen sei, wandten sie sich – wie immer – im Juli 2010 an ihre Filiale der Sparkasse Pforzheim.
Ihre Vorhaben seien klar gewesen: Sie wollten eine Anlage, die möglichst genug abwerfen sollte, um ihre Krankenkassenkosten zu bezahlen. Der Sparkassenberater empfahl, ein bereits vorhandenes Aktiendepot gründlich aufzustocken, dieses lief auf den Namen der Rentnerin. Die Rentnerin sagt, sie habe ihr Protokoll ungelesen unterschrieben. Schließlich waren die Eheleute Stammkunden. – Diese Gutgläubigkeit war ein Fehler. In dem Dokument werden der Rentnerin umfassende Kenntnisse über inländische Euroanleihen, Aktien deutscher und ausländischer Emittenten sowie Geldmarkt- und Immobilienfonds bescheinigt. Dabei habe sie in ihrem Leben nicht eine einzige Aktie gezeichnet, sagt die Seniorin – die Bankangelegenheiten habe immer ihr Mann erledigt. Der Senior schaute regelmäßig n-tv und verließ sich sonst, vor allem bei größeren Summen, auf ihren Bankberater, wie er beteuert.
Die Abrechnungsbelege des Ehepaares zeigen, dass in der Zeit ihres Urlaubs ohne dokumentierten Grund zwei große Pakete mit Porsche- und Daimler-Aktien verkauft worden waren, mit einem Verlust von rund 10.000 Euro. Am 11. August, also nach der Rückkehr des Ehepaares aus dem Urlaub geht es im Depot der Rentnerin hoch her: Um 9.44 Uhr werden 476 Aktien von HeidelbergCement gekauft, der Kurs liegt bei 31, 965 Euro. Um 13.48 wird eben dieses Aktienpaket wieder abgestoßen, weil bei 30 Euro Aktienkurs ein Verlustlimit gesetzt wurde. Am Abend werden dann erneut Aktien von HeidelbergCement erworben – diesmal zum Preis von über 32 Euro pro Stück. Der Verlust allein durch dieses Hin und Her beträgt 1.070 Euro. Ähnlich läuft es bei etlichen anderen Papieren. Insgesamt werden in dem Depot an diesem einen Tag Aktien im Wert von fast 436.000 Euro gehandelt und dabei über 30.000 Euro vernichtet. Im Jahr 2011 summierte sich der Verlust in ihrem Depot durch den wilden Aktienhandel auf rund 100.000 Euro – etwa 40 Prozent des Gesamtwertes. Die Sparkasse berechnete für die zahlreichen Transaktionen in dieser Zeit aber rund 11.000 Euro an Provisionen.
Die Sparkasse dementiert die Darstellung des Rentnerehepaares. „Der seitens der Kunden geschilderte Sachverhalt ist unzutreffend“, heißt es auf Anfrage. „Die fraglichen Transaktionen“ seien „ausschließlich im Auftrag der Kunden“ erfolgt: „Eine Beratung hierzu erfolgte nicht und war kundenseitig auch gar nicht gewünscht.“ In einem Gerichtsprozess wäre es nun Sache des Rentnerehepaares das Gegenteil zu beweisen. Es kann aber lediglich zig Verkaufs- und Kaufbelege vorweisen sowie seine Erinnerung – und das Beratungsprotokoll von der Erstberatung, das die Sparkasse eher ent- als belastet, wie so oft in solchen Fällen.
Juristen erklärten dem Paar bereits, eine Klage sei zu riskant, vor allem weil die Sache womöglich verjährt sei. Denn aus Scham verschwiegen die Senioren ihre Geldprobleme jahrelang. Sie blieben dem Schwiegersohn das Geld für das vereinbarte Wohnrecht schuldig, erfanden dafür Ausreden und zahlten stattdessen Miete für ihr neues Heim. Ihre Ersparnisse schrumpften weiter. Erst als absehbar war, dass ihr Geld nicht mehr allzu lange reichen würde, stoppte der Senior sämtliche Handelsgeschäfte auf dem Depot seiner Frau und vertraute sich seiner Tochter an.
Anne Seith, Beraten und verkauft(Auszug), Geldanlage, Eine Sparkasse hat die Altersvorsorge eines Paares verzockt, das über Jahrzehnte hinweg ihr Kunde war – sieht sich aber nicht in der Verantwortung, #DERSPIEGEL, 47/2017
13 Antworten zu #Kunden sparen für die #Altersvorsorge und bekommen Probleme