Der Wiener Arzt Dr. Josef Breuer, der Psychiater Dr. Sigmund Freud und der Philosoph Friedrich Nietzsche begegnen uns nicht nur als Arzt, Forscher und Denker. Sie werden uns in dem Roman als Menschen wie du und ich dargestellt: in extremen Situationen misstrauisch, überempfindlich, verzweifelt oder voller Angst. Also wie in ganz „normalen“ Lebenskrisen. Breuer und Nietzsche geraten sogar wegen des gleichen Kummers in Gefahr, Selbstmord zu begehen. Der Grund für Nietzsches „Verzweiflung“ ist die hoffnungslose Liebe zu der jungen Russin namens Lou Andreas Salome.
Salome bewundert Nietzsches intellektuelle Fähigkeiten und sein Werk. Sie empfindet in ihrer Beziehung zu Nietzsche aber nichs weiter als Freundschaft. Zudem fühlt sie sich zu dem attraktiven Paul Ree hingezogen. Dieser ist zu allem Unglück ein enger Freund Nietzsches. Salome hat somit Grund genug, den angesehenen Wiener Arzt Dr. Breuer aufzusuchen. Sie bittet diesen, sich Nietzsches Problem anzunehmen. Nach anfänglichem Zögern willigt Breuer endlich ein.
Was nun geschieht war von beiden Männern nicht vorherzusehen. Der Arzt und der Denker, vom gleichen Schicksal heimgesucht, kommen sich Zug um Zug näher. Breuer verschweigt allerdings, dass Salome in das ganze Vorhaben verstrickt ist. Auch dass Breuer in Nietzsches Büchern „Fröhliche Wissenschaft“ und „Menschliches Allzumenschliches“ blättert und liest, erfährt Nietzsche erst später. – Ein Vorteil für Breuer in den Wortgefechten. – Das tiefgründige Rededuell der beiden erinnert an ein Schachspiel zweier Meister. Zug um Zug bleiben immer weniger Figuren auf dem Spielfeld. In „Verzweiflung“ vereint geben beide im Verlauf des Romans nach und nach immer mehr aus ihrem Inneren preis.
Breuer erzählt wie er in das Liebesverhältnis zu seiner Patientin Bertha Pappenheim (Alias Anna O.) verstrickt ist. Soll er für Bertha sein Ansehen, Beruf, Familie aufgeben? In diesem Zusammenhang berichtet er von seinen wüsten Alpträumen. Um den Konflikt zu vergessen, besucht er noch mehr Patienten als sonst, was ihm nicht gut tut. – Auch Nietzsche leidet weiterhin. Inzwischen erhält Salome böse Briefe von ihm. Ist das der Auslöser von Nietzsches kritischer Haltung Frauen gegenüber? „Wenn Du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht“.
Wie bei einem Schachspiel sieht sich mal Schwarz und mal Weiß im vermeintlichen Vorteil. – Ein schier endloses Sprach-Duell. Statt scharfer Klinge, hier spitzfindige, tiefgründige Worte. Gesteuert vom Verstand, ebenso wie vom Gefühl. Ein faires Spiel! Ein fairer Kampf! Die Rollen zwischen Therapeut und Patient verschwimmen, werden ständig getauscht. Ein Psychologe und ein Philosoph lassen einander schlussendlich in ihr Seelenleben blicken. Ein Gefühl gegenseitiger Freundschaft wächst zwischen beiden. Diese führt zu Nietzsches Tränen.
Friedrich Nietzsche und Josef Breuer sind sich im realen Leben nie begegnet. Irvin Yalom hat mit seinen hypothetischen Annahmen ins Schwarze getroffen. Ich konnte durch Lesen des Buches dem „Phänomen Nietzsche“ einen neuen Blickwinkel abgewinnen. – Auch der Übersetzerin vom Amerikanischen ins Deutsche Uda Strähling gilt hinsichtlich Stil und Sprache großes Lob.
Irvin D. Yalom, When Nietzsche Wept, New York, Basic Books, 1992, 306 Seiten. ———– Irvin D. Yalom, Und Nietzsche Weinte, Ernst Kabel Verlag, Hamburg, 1994, 379 Seiten. — Irvin D. Yalom, Und Nietzsche Weinte, btb-Verlag, München, 2008, 448 Seiten.
Verfilmung: Und Nietzsche Weinte, 2007, ca. 100 Min. Eine Geschichte über Besessenheit, Begierde und Schicksal, 3L Film GmbH & Co. KG.
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