Der Neurobiologe Gerald Hüther sagt, dass er eigentlich jeden Tag spielt. Wenn ihn keiner sieht, versucht er mal rückwärts zu gehen oder sich im Kreis herum vorwärts zu bewegen. Wenn er an seinem Schreibtisch sitzt, liebt er es sehr, den Stift wegzulegen und einfach mal mit seinen Gedanken zu spielen.
Um kreativ sein zu können brauchen wir das Spiel. Denken wir an Kinder, die sich im freien, unbekümmerten Spiel, zum Beispiel mit dem Küchengeschirr, fast verlieren. Kinder, die Fantasien mit Dingen entwickeln, die eigentlich für ganz andere Zwecke bestimmt sind. Diese Kreativität zeichnet uns als Menschen aus und hat uns wahrscheinlich erst zu dem gemacht, was wir heute sind. Und wir sollten deshalb sehr darauf achten, dass uns diese spielerische Kreativität nicht abhandenkommt.
Die Ökonomisierung beherrscht unser eigenes Denken, das Familienleben, Krankenhäuser und Altenheime, die öffentliche Verwaltung und sogar die Kirche. Unser Menschsein wird aber nicht durch das Erzielen möglichst großer Gewinne bestimmt, sondern durch die immer klügere Erschließung der Möglichkeitsräume, die sich uns bieten. Mit anderen Worten: Es geht darum, dass wir unsere Talente, Begabungen, Potenziale so gut es irgendwie geht zur Entfaltung bringen. Das können wir nicht, wenn wir unseren Entwicklungsprozess ausrichten nach den Erfordernissen eines Wirtschaftssystems.
Kreativität entsteht erst durch das Spiel. Wenn Kinder Augenblicke erleben, in denen niemand etwas von ihnen will und sie kein anderes Bedürfnis bedrängt, fangen sie an, zu spielen. Das hört allerdings auf, wenn Pädagogen oder Eltern anfangen Kindern zu sagen, was sie zu lernen oder zu spielen haben. Wissenschaftlich würde man es als eine Situation beschreiben, in der das Kind zu einem Objekt gemacht wird. Zum Objekt der Ziele, Vorstellungen und Bewertungen anderer. In dem Moment bekommt es Druck von außen, und sein Gehirn reagiert sofort mit dem Unterbrechen des Bedürfnisses zum freien Spiel. Denn Spiel unter Druck oder Angst ist unmöglich.
„Frühförderung“ nimmt den Kindern die Lust am Entdecken.Wenn Eltern alles dafür tun, damit ihr Kind im Kampf um die besten Positionen nicht abgeschlagen wird, ist das nur verständlich. Aber diese Eltern müssen sich fragen: Wo bleibt bei all den Fördermaßnahmen der Raum, in dem das Kind aus sich heraus auf eigene Ideen kommen kann? Wenn alles vorgegeben ist und kein Raum zum eigenen Entdecken bleibt, wird das Kind sehr leicht die innere Überzeugung herausbilden: Es kommt immer darauf an, die Dinge so abzuarbeiten, wie es vorgegeben ist.
Kreativität entsteht, weil wir Dinge kombinieren, die wir normalerweise nicht miteinander in Verbindung setzen würden. Denn Kreativität ist nicht, dass uns etwas völlig Neues einfällt. Eher, dass es uns gelingt, Dinge miteinander auf eine andere als die bisherige Weise zu verknüpfen. In dem Augenblick, in dem ein Mensch spielt, hört die fokussierte Aufmerksamkeit auf, es öffnet sich die Wahrnehmung und man kommt in einen Zustand – halten wir uns fest -, den man Achtsamkeit nennt. Achtsamkeit, die Menschen hilft, sich selbst zu finden und aus schwierigen Situationen herauszukommen. So will es die neueste Theorie.
Kreativität am Schreibtisch ist jedenfalls schwierig. Wenn wir uns die Lebensläufe der Menschen ansehen, die großartige Entdeckungen ( wie Dampfmaschine, Eisenbahn, Computer, Doppelhelix, Relativitätstheorie ) gemacht haben, stellen wir fest: Sie haben ihre Entdeckungen unter der Dusche gemacht, beim Spazierengehen, im Bett. Dort, wo man aus der Zweckorientierung herauskommt.
Wir müssen jetzt alles auf den Kopf stellen: Arbeitswelt, Alltag, das ganze System. Die Wiederentdeckung des zweckfreien, unbekümmerten gemeinsamen Spielens ist eine subversive Untergrabung der Grundlagen unseres ökonomischen Systems. Es ist aber nicht derAufruf zu einer Revolution, sondern der Aufruf, sich selbst wiederzufinden.
Laura Rethy, Seid wie Kinder! (Auszug ), Arbeit und Schule lassen den Menschen zu wenig Freiräume, um kreativ zu sein, warnt der Neurobiologe Gerald Hüther. Er ruft dazu auf, die Unbekümmertheit wiederzuentdecken. Hamburger Abendblatt, WISSEN, Donnerstag, 17. November 2016.
Kinder spielen nur dann unbekümmert,
wenn sie völlig frei von Angst sind.
Gerald Hüther , Christoph Quarch, Rettet das Spiel! Weil Leben mehr als Funktionieren ist, Hanser Verlag, September 2016, 224 Seiten, 20 €.
2 Antworten zu Hoert nicht auf, zu #spielen: Im #Spiel liegt Zauber