Etwa fünf Prozent der erwachsenen Menschen sind stark kaufsuchtgefährdet. Episoden exzessiven Warenkonsums sind charakteristisch für diese Erkrankung, mit der vorwiegend junge Menschen – und darunter mehr Frauen als Männer – zu kämpfen haben. Die Kaufattacken können sich prinzipiell auf alles richten, was zur Zeit zu haben ist. Bei Männern sind das oft Sportutensilien oder Elektrogeräte, bei Frauen Kleidung, Kosmetik, Accessoires. Allerdings kaufen die Betroffenen nicht ein, weil sie einen Gegenstand gern verwenden möchten oder weil sie ihn tatsächlich benötigen. Der nachhaltige Gebrauch spielt für die Betroffenen keine Rolle. Vieles wird nur selten oder gar nicht genutzt. Vorrangig geht es um den Kauf- oder Bestellakt als solchen, und mitunter auch um den Besitz der Sache. Manche der Betroffenen haben eine stark materielle Werteordnung.
Dahinter steckt das Bedürfnis nach positiven Gefühlen: Der Kauf als Trost oder Belohnung, als Ablenkung von Sorgen und Traurigkeit, als wohlverdiente Entschädigung für erlittenen Ärger oder Stress. Doch wenn aus kleinen Belohnungen größere werden, wenn man sie nicht nur gelegentlich, sondern ständig braucht, wenn die Gedanken nur noch um die Suche nach diesen Seelentröstern kreisen, dann ist offenbar etwas aus dem Ruder gelaufen. Insgesamt beobachtet man inzwischen eine leichte Zunahme von Kaufsucht-Erkrankungen – ob diese auch mit den Möglichkeiten des Onlineshoppings zusammenhängen, lässt sich bisher nicht belegen. Nach dem kurzzeitigen Hochgefühl, das der Kauf verschafft, kommen mit den bestellten Paketen auch das schlechte Gewissen und die Scham ins Haus. Manche geben daraufhin die Sachen weg oder verkaufen einen Teil auf Flohmärkten. Doch zwei Drittel aller Patienten horten ihre Einkäufe. Manchmal nimmt das so extreme Ausmaße an, dass Zimmer nicht mehr betreten werden können.
Die Ursachen der Sucht sind vielfältig: Oft stellen die Betroffenen eine starke Diskrepanz fest zwischen dem Menschen, der sie selbst sein möchten und dem Menschen, als den sie sich erleben. Sie kämpfen mit einer ständigen Unzufriedenheit und Selbstwertproblemen, sind gleichzeitig sehr impulsiv und haben Schwierigkeiten, das zu beherrschen. Die Mehrheit der Patienten leidet zusätzlich unter Angststörungen oder Depression. Bei einigen kommen Essstörungen oder Übergewicht als Begleitproblematik hinzu, manchmal nimmt auch das Horten der gekauften Gegenstände zwanghafte Züge an. Und schließlich bringt die Sucht viele weitere Probleme mit sich, soziale und finanzielle: In manchen Fällen kommt es zur Beschaffungsdeliquenz.
Wer einmal erkannt hat, dass er sein Verhalten selbst nicht in den Griff bekommt, dem kann in der Regel mit psychotherapeutischen Mitteln geholfen werden. Die Wirksamkeit von verhaltenstherapeutischen Konzepten bei Kaufsucht ist sehr gut belegt. Als erste Anlaufstelle kann eine Suchtberatungsstelle oder eine gut aufgestellte Schuldnerberatung dienen. Auch Selbsthilfegruppen eignen sich, um die Wartezeit bis zu einer Psychotherapie zu überbrücken. Im Rahmen dieser Therapie werden dann beispielsweise Kaufprotokolle geführt; zudem macht man sich die inneren und äußeren Auslöser bewusst: Wofür steht mein Kaufbedürfnis? Was kann ich stattdessen tun? Auf diese Weise können Patienten mögliche Handlungsalternativen entdecken und verinnerlichen, um so zu einem normalen Umgang mit den Einkäufen zurückzufinden.
Wo gibt es Hilfe? Betroffene können sich zum Beispiel an die Diakonie Hamburg wenden. Online (/diakonie-hamburg.de/, Menüpunkt „Rat & Hilfe“, Stichwort „Alkohol & Sucht“) hier findet man ambulante Beratungsstellen. Telefonische Auskunft: 040/30620300
Gianna Schlosser, ( Interview mit Professorin Astrid Müller, Mitglied des Deutschen Kollegiums für psychosomatische Medizin/DKPM ), (Auszug), Gekauftes Glück, hinter einer Kaufsucht verbirgt sich häufig das Bedürfnis nach Trost oder Hochgefühlen. Eine Verhaltenstherapie kann helfen, #HamburgerAbendblatt, Wissen, Montag, 24. Oktober 2016.
1 Antwort zu Können wir durch #Kauflust unsere #Probleme lösen?