Überbevölkerung ist für Zoos und Wildparks eine ständige Bedrohung. Als letzter Ausweg bleibt oft nur die Tötung des Tieres – ein rüdes Vorgehen. Um ein Haar hätte auch dem Löwen Tristan dieses Schicksal ereilt. – Genau an dieser Stelle kommt der Niederländer Robert Kruijff ins Spiel. Er baute in einem abgelegenen Teil Nordhollands die europaweit größte Zufluchtsstätte für Tiger und Löwen auf. Seit 2012 greift Kruijff in allen Winkeln des Kontinents geschundene oder nicht gewollte Großkatzen auf und bringt sie zu ihrem Schutz ins beschauliche Heim nach Holland. Am häufigsten melden sich Zirkusleute bei ihm, die ihre Löwen schleunigst loswerden wollen. Oft liegt es daran, dass die knapsenden Kleinunternehmen sich die Fleischberge nicht mehr leisten können, die so eine Raubkatzenschar verzehrt.
Robert Kruijff will kein Urteil über jene fällen, die mit der Haltung von Tigern und Löwen ihren Lebensunterhalt verdienen. Er spricht nicht eimal schlecht über solche, die sich zur Pflege des eigenen Egos ein Raubtier zulegen und es dann verwahrlosen lassen. Im vergangenen Jahr erhielt er einen Anruf von einer ziemlich entnervten Frau aus der Slovakei. Ihr Mann, ein stadtbekannter Mafioso, war im Gefängnis gestorben. Zu seiner Hinterlassenschaft gehörte ein Löwe, zu dessen Betreuung die Frau offenbar überfordert war. Was Kruijff zu sehen bekam, als er bei ihr war, schockierte ihn. Der Löwe Omar war auf ein für Löwen ungewöhnliches Gewicht von 104 Kilo abgemagert. Wunden bedeckten seinen Körper, er wälzte sich in seinem eigenen Kot. „Er lag im Sterben“, berichtete Kruijff. Dieses Exemplar war zu schwach, um überhaupt fressen zu können. Doch Kruijff hatte einen rettenden Einfall: er päppelte OMAR mit Schlagsahne, literweise.
Was geschieht mit Tieren in Kruijffs Obhut? Sie werden in Holland gezielt trainiert für ein Leben in der Wildnis. “ Löwe Tristan ist so kämpferisch, ich bin fest davon überzeugt, dass er richtig jagen kann“, sagte Kruijff. Jetzt wurde der junge Tristan in die Heimat seiner Ahnen gebracht, auf einen Kontinent, den er noch nie gesehen hat: nach Afrika. Stück für Stück soll er die Savanne für sich erobern; erst auf ein paar Hektar, dann auf einer immer größeren Fläche. „Er hat noch nie in seinem Leben afrikanisches Wasser getrunken, und er wird davon krank werden. Er hat noch nie eine Schlange gesehen, und das wird ihn erschrecken.“
Wie verdreht es auch im Kopf eines Löwen zugehen mag, und ganz gleichgültig unter welchen widrigen Umständen er gelebt hat, eines verlieren die Raubkatzen nie: ihren Jagdinstinkt. Dazu muss er allerdings reichlich trainieren, denn das Jagdgeschick der Raubkatzen im holländischen Exil ist verkümmert. Kruijff entwickelte gemeinsam mit Spezialisten einen Jagdsimulator für Raubtiere: Die Großkatzen hetzen dabei hinter einem Fleischbrocken her, der an einem Seil hängt, wie ein Köder an einer Angel. Ein Mitarbeiter steuert das System mit einem Joystick in alle Richtungen. Die Löwen und Tiger müssen sich zunächst in einem Hindernisparcours bewähren, bevor sie die Belohnung mit der Pranke zu fassen bekommen; den Weg versperren Felsen, Baumstämme und künstliche Tümpel. Wie Boxer werden die Raubkatzen allerdings mit jeder Trainingseinheit stärker. Ihre Ausdauer verbessert sich. Und sie lernen, was ohnehin in ihnen steckt: höchste Körperbeherrschung. – Inzwischen hat sich das öffentliche Simulationstraining im Löwenzentrum zum großen Publikumsvergnügen entwickelt. –
Frank Thadeusz, Sahne für Omar, (Auszug), Tiere, in Europas größtem Heim für Tiger und Löwen werden verwahrloste und misshandelte Zirkusbewohner auf ein Leben in der Wildnis vorbereitet. Das klappt nicht immer. DER SPIEGEL, 24/2016, Wissenschaft.
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